- Sex-Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell des Konzentrationslagers Dachau
- Weibliche Häftlinge im „Außenlagerkomplex Kaufering I – XI“
- Erinnerung an „asoziale“ Zwangsarbeiterinnen
Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität und sexuelle Orientierung entschieden häufig die Position von Häftlingen innerhalb der NS-Lagerhierarchie. Bis heute ist der Erinnerungsdiskurs von diesen Strukturen geprägt. Besonders Zwangsarbeiterinnen, die aufgrund der Kategorie „asozial“ im NS-Lagersystem ausgebeutet wurden, werden heute in der öffentlichen Erinnerung nicht ausreichend berücksichtigt. Durch die Untersuchungen an zwei exemplarischen Orten im Großraum München wird deutlich, welche Mechanismen der Diskriminierung für bestimmte Opfergruppen greifen und warum eine spezifische Erinnerung aus Genderperspektive wichtig ist.
Von Mirela Delić und Sanja Tolj
Während der NS-Diktatur wurden zahlreiche Menschen spätestens seit der Sonderaktion „Arbeitsscheu Reich“ (1938) als „Asoziale” in Konzentrationslagern inhaftiert und auch in/um München zu Zwangsarbeit gezwungen. Bis heute werden diese als „asozial“ stigmatisierten Opfer des NS-Systems mehrheitlich nicht als solche anerkannt: In der öffentlichen Erinnerung wird ihnen nur selten gedacht und auch bei Entschädigungszahlungen werden sie nicht ausreichend berücksichtigt.
Gleichzeitig ist die Genderperspektive in der Erinnerung an Verbrechen während der NS-Zeit klar unterrepräsentiert, gerade Frauen leiden oftmals unter dieser doppelten Stigmatisierung: Die Geschlechterdimension taucht in der öffentlichen Diskussion nur selten auf,1 spezifisches Erinnern an Frauen im Zwangsarbeitseinsatz findet fast nicht statt.2 Im wissenschaftlichen Diskurs ist insbesondere die „Intersektion“ von Geschlecht, Ethnie und sozialem Milieu bislang noch zu wenig thematisiert worden.3 Auch in und um München findet teilweise keine angemessene Erinnerung an weibliche NS-Opfer statt, die oft nicht nur geschlechtsspezifischer Gewalt ausgeliefert waren, sondern durch weitere Stigmata wie bestimmte Häftlingskategorien („Asozial“) oder “ethnische” Zuschreibungen („Zigeuner“) auf mehreren Ebenen, die miteinander korrelierten, stigmatisiert wurden.
[toggle open=”no” title=”Wer gilt als „asozial“ im NS-System?” ] Im NS-System konnten alle Personen, die ein in irgendeiner Weise von der sozialen Norm abweichendes Verhalten aufwiesen, als „asozial“ gebrandmarkt werden. Die Kategorie „asozial“ war dabei nicht exakt definiert, sondern vielmehr eine Konstruktion auf Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie und Vorstellung von einer „guten“ Gesellschaft im Lichte bestimmter Moral- und Sexualvorstellungen.4 In der Praxis wurden so auch aus anderen Gründen für das NS-System „unliebsame“ Frauen unter dem Vorwand der „Prostitution“ inhaftiert. 5 Als solche konnte jede Frau gelten, die gegen „die Sauberkeit des Straßenbildes“ und/oder gegen die nationalsozialistische Sexualmoral verstieß.6 Ebenso konnte diese Kategorie für Personen bestimmter Ethnizität, wie zum Beispiel Roma und Sinti gelten.7[/toggle]
In dieser Arbeitsgruppe wurden zwei exemplarische Orte, das Lagerbordell im ehemaligen KZ Dachau und der ehemalige „Außenlagerkomplex Kaufering“, mit einer dezidierten Genderperspektive und einem intersektionalen Ansatz untersucht. Durch die Beschäftigung mit der Erinnerung an weibliche Häftlinge in den Dachauer Außenlagern Kaufering I-XI und an die Sex-Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell des Konzentrationslagers Dachau sollten Strukturen und Mechanismen untersucht werden, anhand derer bestimmte Gruppen aufgrund spezifischer Kategorisierungen marginalisiert werden: dazu zählen unter anderem Frauen aus dem östlichen Europa, “Roma” und “Sinti”, aber auch andere als soziale „Außenseiter_innen“ stigmatisierte Personen wie zum Beispiel “Prostituierte”, “Homosexuelle”, “Alkoholiker_innen” oder “Landstreicher_innen”.
Dabei sollten folgende Fragen beantwortet werden: wird in/um München an den ausgewählten Orten spezifisch an Frauen erinnert, die im NS-System zu Arbeit gezwungen worden sind? Wenn ja, wie findet diese Erinnerung statt? Und: welche Bedeutung tragen neben Geschlecht weitere soziale Kategorien wie Ethnizität, soziales Milieu und/oder sexuelle Orientierung?
Während der Untersuchung zeigte sich: in der musealen Erinnerung wird an weibliche KZ-Häftlinge und/oder Zwangsarbeiterinnen derzeit an den untersuchten Orten in den Dauerausstellungen gar nicht (Kaufering/Landsberg) oder nicht ausreichend (KZ Gedenkstätte Dachau) erinnert.8 In der Erinnerung an diesen Orten überwiegt das Bild des männlichen Zwangsarbeiters. Auch wenn dies teilweise museumspraktischen Gründen geschuldet ist, wird dieses Gedenken den geschlechtsspezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, denen Frauen in NS-Lagern ausgesetzt waren, nicht gerecht.
Frauen wurden in/um München vor allem in den „Außenlagern“ zu Zwangsarbeit gezwungen. Der „Außenlagerkomplex Kaufering/Landsberg“ bildete dabei das „größte Konglomerat weiblicher Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau“.9 Belege für ein spezifisches Gedenken an Frauen, die in den KZ-Außenlagern in Landsberg inhaftiert worden waren, finden sich während der Forschungen vor Ort dennoch keine.10 Derzeit werden auf dem Gelände des ehemaligen Kauferinger Lagers VII drei Baracken des damaligen Frauenlagers restauriert. Durch regionale Forschungen konnten die Lebens- und Arbeitsbedingungen einiger Zwangsarbeiterinnen in diesem “Lagerkomplex” rekonstruiert werden.11 Dennoch bleiben Lücken im Gesamtzusammenhang der NS-Erinnerung.
Im eigentlichen „Männerlager“ Dachau waren Frauen gleich „doppelter“ Ausbeutung ausgesetzt. Im Lagerbordell wurden sie von der SS zur Arbeit als Prostituierte eingesetzt. Besonders „fleißige“ männliche Häftlinge konnten sich solch einen Bordellbesuch als Prämie verdienen und nahmen dabei den Zwangscharakter der Handlungen billigend in Kauf. Die Häftlingskategorie „Asozial“, welcher die Sex-Zwangsarbeiterinnen mehrheitlich angehörten, diskriminierte die Frauen auch innerhalb der Lagerhierarchie. Wenngleich das Lagerbordell in der Dauerausstellung der KZ-Gedenkstätte Erwähnung findet, bleibt es weiterhin eine Herausforderung, die Geschichte dieser Frauen in das Gesamtkonzept zu integrieren.
Auch zeigen die Recherchen in dieser Arbeitsgruppe: Frauengeschichte in der NS-Zeit werden im Raum München häufig „Sonderausstellungen“ gewidmet: FAM, die Frauenakademie München e.V. organisierte 2013 ein Tagungsseminar zum Thema „Münchner Frauen im Nationalsozialismus“. 2010 war beispielsweise die Ausstellung „Sie gaben uns wieder Hoffnung: Schwangerschaft und Geburt im KZ-Außenlager Kaufering I“ in der KZ Gedenkstätte Dachau und 2013 in Landsberg am Lech zu besichtigen. Eine Dauerausstellung, die sich anhand einer geschlechtsspezifischen Perspektive mit Zwangsarbeit während der NS-Zeit beschäftigt, fehlt derzeit noch in/um München, wäre aber zu begrüßen.
- Messerschmidt, Astrid: Umstrittenes Erinnern – Aneignung des Holocaust-Gedächtnisses in der Frauen- und Geschlechterforschung. In: Tuider, Elisabeth (Hg.): QuerVerbindungen. Interdisziplinäre Annäherungen an Geschlecht, Sexualität, Ethnizität. Berlin 2008, S. 227-250, hier S. 232f. ↩
- ebd. ↩
- Eschebach, Insa/Wenk, Silke/Jacobeit, Sigrid: Gedächtnis und Geschlecht: Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Münster 2002, S. 14f. ↩
- Eberle, Annette: Erziehung zur Arbeit als Ziel nationalsozialistischer Zwangsfürsorge. „Asoziale“ Frauen im Wanderhof Bischofsried, In: Dachauer Hefte, Zwangsarbeit, 16 (2000), S. 87-111, hier S. 102f. ↩
- Alakus, Baris; Kniefacz, Katharina; Vorberg, Robert (Hg.): Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Wien 2007, S. 50 und Sommer, Robert: Zur Verfolgungsgeschichte »asozialer« Frauen aus Lagerbordellen, In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Ausgegrenzt. »Asoziale« und »Kriminelle im nationalsozialistischen Lagersystem«. Bremen 2009, S. 111-127, hier S. 114. ↩
- Ayaß, Wolfgang: Schwarze und grüne Winkel. Die nationalsozialistische Verfolgung von »Asozialen« und »Kriminellen« — ein Überblick über die Forschungsgeschichte, In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Ausgegrenzt. »Asoziale« und »Kriminelle im nationalsozialistischen Lagersystem«. Bremen 2009, S.16-31, hier S. 22. ↩
- Ebd. Sowie Urban, Susanne: »Kategorie oder Grund der Verhaftung: ›Zig., Aso.‹ (Zigeunerin, Asozial)«. Akten und Menschenbilder. In: Dies. (Hg.): Fundstücke. Entwurzelt im eigenen Land – Deutsche Sinti und Roma nach 1945, Göttingen 2015, S. 11-20, S. 11. ↩
- Für zukünftige Forschungen finden sich weitere Orte wie u.a. das Gelände der ehemaligen „Agfa-Camerawerke“, wo ebenfalls zahlreichen Frauen Zwangsarbeit leisten mussten, nach unseren Recherchen heute aber keine Aufarbeitung stattfindet. ↩
- Schalm, Sabine: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933-45 (Geschichte der Konzentrationslager 1933-45, Bd. 10), Berlin 2012, S. 195. ↩
- Bestätigt durch das Städtische Museum Landsberg am Lech, Emailkorrespondenz am 2.6.2015. ↩
- Allgemein zu den Außenlagern Kaufering/Landsberg siehe Raim, Edith: Die Dachauer KZ-Außenkommandos Kaufering und Mühldorf. Rüstungsbauten und Zwangsarbeit im letzten Kriegsjahr 1944/45. München/Landsberg am Lech 1991 & Schalm, Sabine: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933-45 (Geschichte der Konzentrationslager 1933-45, Bd. 10). Berlin 2012. ↩
- Außenlager Kaufering/Landsberg
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