- Sex-Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell des Konzentrationslagers Dachau
- Weibliche Häftlinge im „Außenlagerkomplex Kaufering I – XI“
- Erinnerung an „asoziale“ Zwangsarbeiterinnen
In Lagerbordellen mussten mindestens 200 Frauen als Zwangsprostituierte ihre Dienste anbieten. Auch in Dachau existierte acht Monate lang ein solches Bordell, in welchem Frauen als Sex-Zwangsarbeiterinnen eingesetzt wurden. Bereits zur NS-Zeit ein Tabu, werden die Schicksale der Zwangsarbeiterinnen aus den Lagerbordellen auch heute in der öffentlichen Erinnerung ausgeklammert. Die meisten betroffenen Frauen schweigen – aus Scham und Angst vor Stigmatisierung als ehemals „Asozial“ inhaftierte.
von Mirela Delić und Sanja Tolj
Lagerbordelle im NS-System: Anreiz zur „Produktivitätssteigerung“
Am 15. Mai 1943 führte das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (SS-WVHA) mit der „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge (Prämien-Vorschrift)“ ein Prämiensystem in den Konzentrationslagern ein. Diese Prämien sollten als Anreiz zur Leistungssteigerung der Häftlinge dienen und damit die Produktivität der für die nationalsozialistische Wirtschaft wichtigen Konzentrationslager erhöhen. Gerade in den Kriegsjahren war die enge Verknüpfung von Konzentrationslager und Rüstungsindustrie wichtig für das NS-System, da sich ein Teil der Rüstungsindustrie auch auf Zwangsarbeit durch KZ-Häftlinge stützte.
Eine dieser sogenannten „Prämien“ war ein Besuch in einem der Lagerbordelle, die für diesen Zweck eingerichtet wurden. Die Frauen, die in den Lagerbordellen Zwangsarbeit verrichten mussten, waren ebenfalls Häftlinge. Sie wurden nicht nur zu Arbeit gezwungen, sondern waren auch geschlechtsspezifischer sexualisierter Gewalt ausgeliefert. Insgesamt richtete die SS in zehn Konzentrationslagern solche Bordelle ein, darunter auch eines im Konzentrationslager Dachau, in welchem insgesamt 15 Frauen Zwangsarbeit leisten mussten.
Die Frauen waren mehrheitlich Inhaftierte aus dem „Frauenlager Ravensbrück“, aber teilweise auch aus dem KZ Auschwitz-Birkenau. Von dort wurden sie dann in die verschiedenen Konzentrationslager zu ihrem „Arbeitseinsatz“ gebracht.1 Bald darauf wurden die Lagerbordelle zu einem Tabuthema auch innerhalb der SS und es galt striktes Verbot, sie bei Lagerbesichtigungen zu zeigen oder darüber zu sprechen2 – ein Umstand, der sich noch lange nach 1945 fortsetze.
Das Lagerbordell war als Prämienfaktor zur Produktivitätssteigerung der männlichen Zwangsarbeiter gedacht worden und basierte wiederum auf der sexuellen Ausbeutung inhaftierter Frauen. Gleichzeitig stellten die Lagerbordelle keine Einrichtung für die Masse dar. Nicht alle männlichen Häftlinge durften und wollten das Bordell nutzen, sondern es war den Privilegierten im Lager, den „Häftlingseliten“, vorbehalten. Dies zeigt gleichzeitig die Hierarchien in der komplexen Lagergesellschaft auf, in der sich das rassistische Raster der SS in der Hierarchisierung unter den Häftlingen spiegelte. „Asozial“ war die Kategorie, der nach den Quellen die Mehrheit der Zwangsarbeiterinnen in den Lagerbordellen angehörte.3
Das Lagerbordell im Konzentrationslager Dachau
Die „bürokratischen“ Vorbereitungen für die Eröffnung des Lagerbordells begannen im Sommer 1943 mit der „Dienstanweisung für den Sonderbau“. Untergebracht war das Lagerbordell in der „Baracke 170a“ im sogenannten „Sonderbau“, der nochmals eingezäunt wurde und abgeschottet vom übrigen Lager lag. Vermutlich im April 1944 öffnete das Lagerbordell in Dachau für Häftlinge, die aufgrund „besonderer Leistung“ einen Prämienschein für den Bordellbesuch erhielten.
Das Lagerbordell wurde von anderen Häftlingen sehr unterschiedlich wahrgenommen. Der Überlebende und ehemalige Häftling Josef Zeidler berichtet, wie die Öffnung des Bordells die Häftlinge spaltete. Einige politische Häftlinge riefen zum Boykott des Bordells auf. Er machte auch deutlich, was Häftlinge zu erwarten hatten, die sich dem Boykott widersetzten:
„Am ersten Besuchstag – es war ein schöner sonniger Tag – meldete sich nur ein einziger politischer Häftling (ein Oberschlesier, den wir als Spinner betrachteten). Entlang der langen Lagerstrasse standen die ganzen politischen Häftlinge aus allen Nationen Spalier und machten sich über den Aussenseiter lustig. Es war der reinste Spießrutenlauf. Aber schließlich musste er wissen, war er tat. Sie machten sich über ihn lustig und einige spuckten vor ihm aus, sagten ihm im Guten und im Bösen ihre Meinung.“4
In den ersten Wochen scheint der Aufruf zum Boykott Erfolg gehabt zu haben, denn das Bordell wurde nur selten besucht.5 Dem gegenüber steht allerdings die penibel geführte Liste der SS, in der alle Besucher des Lagerbordells festgehalten wurden und die von den zahlreichen Besuchen im Lagerbordell zeugt. Allein am 24. Oktober 1944 besuchten 76 Häftlinge das Lagerbordell.6 Die Besucher des Bordells waren vorrangig deutsche Häftlinge, später war der Besuch auch anderen Häftlingen erlaubt:
„Später gestatteten sie den anderen Häftlingen – vor allem den Kriminellen, Asozialen und auch übrigen Nationen mit Ausnahme der Juden – den Besuch dieser ‚Anstalt‘. In den ersten Wochen war der Besuch sehr minimal trotz der RMk 1 [Reichsmark], die für den Eintritt zu entrichten war…“7
Knapp acht Monate nach der Eröffnung des Bordells, vermutlich zum Jahreswechsel 1944/45, wurde es von der SS geschlossen.
Die Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell Dachau
Die Frauen, die im Lagerbordell Zwangsarbeit leisten mussten, wurden in den Lagern Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau für ihren Arbeitseinsatz ausgewählt und anschließend in die jeweiligen Bordelle gebracht. Für die Wahl der Frauen gab Heinrich Himmler, den nationalsozialistischen Moral- und Gesellschaftsvorstellungen entsprechend, genaue Vorgaben:
„Für die Lagerbordelle dürfen nur solche Dirnen ausgesucht werden, bei denen von vorherein einzunehmen [sic!] ist, daß sie nach Vorleben und Haltung für ein späteres geordnetes Leben nicht mehr zu gewinnen sind, bei denen wir uns also bei strenger Prüfung niemals den Vorwurf machen müssen, einen für das deutsche Volk noch zu rettenden Menschen verdorben haben.“8
Tatsächlich wurden für den Einsatz im Bordell vornehmlich Frauen ausgewählt, die als sogenannte „Asoziale“ inhaftiert worden waren und denen damit nicht nur abweichendes Verhalten vorgeworfen, sondern auch eine gewisse Promiskuität unterstellt wurde.9 Zunächst wurden Frauen gesucht, die bereits vor der Inhaftierung als Prostituierte gearbeitet hatten oder denen man dies unterstellte.10 Der Status der „Asozialen“ und die damit verbundene Minderwertigkeit der Frauen aus Sicht der SS legitimierten den Zugriff auf den Körper der Frauen. Die Stigmatisierung „asozial“ sowie der sexualisierte Haftgrund dienten als Rechtfertigung der sexuellen Ausbeutung.11
Später wurden Frauen mithilfe der sogenannten „freiwilligen Meldung“ rekrutiert. Dabei muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass hier nicht von Freiwilligkeit im Sinne der freien Wahl gesprochen werden kann. Vielmehr wurde von den Blockältesten eine bestimmte Zahl von „Freiwilligen“ angefordert, ohne jedoch Informationen über die Art des Arbeitseinsatzes zu geben. Einige Frauen erhielten das Versprechen, nach einer bestimmten Zeit als Sex-Zwangsarbeiterin, entlassen zu werden – ein Versprechen, das nicht eingelöst wurde.12
Der erste Transport mit Frauen aus dem KZ Ravensbrück erreichte Dachau bereits im Oktober 1942. Die Frauen wurden für die „Aufwärmversuche“ des Dachauer Lagerarztes Dr. Rascher sexuell missbraucht. Bei diesen Versuchen wurden männliche Häftlinge in Eiswasser gelegt und so künstlich unterkühl., Die Frauen sollten die Männer mit ihren nackten Körpern wieder aufwärmen.13 Anschließend wurden die Frauen zurück nach Ravensbrück gebracht.14
Am 18. April 1944 kamen die ersten sechs Frauen für den Arbeitseinsatz im Lagerbordell nach Dachau, darunter eine Frau aus Polen sowie fünf deutsche Frauen.15 In den darauffolgenden Wochen wurden weitere Frauen nach Dachau gebracht, von welchen die SS sechs als „Reichsdeutsche“ führte, sowie eine „Polin“ und eine „Ukrainerin“. Schließlich wurden im Juli 1944 fünf Frauen in Dachau durch neue Arbeiterinnen aus dem KZ Gusen ersetzt.16 Inhaftiert waren die Frauen aus verschiedenen Gründen, mehrheitlich aber als „Asozial“ beziehungsweise „Politisch/Asozial“.17 Insgesamt mussten während des achtmonatigen Bestehens des Lagers 19 Frauen Sex-Zwangsarbeit im Lagerbordell Dachau leisten. Zum Zeitpunkt der Schließung waren vermutlich 13 Frauen im Lagerbordell im Zwangsarbeitseinsatz.18
Die Sex-Zwangsarbeiterinnen lebten abgeschottet von den anderen Häftlingen im „Sonderbau“. Tatsächlich scheinen die Frauen im Lagerbordell eine höhere Überlebenschance gehabt zu haben, als die übrigen Häftlinge.19 Eine – verglichen mit den Bedingungen der übrigen Häftlinge – bessere Lebensmittelversorgung und hygienischere Zustände, aber auch das Tragen von Zivilkleidung und das Wachsen lassen der Haare waren „Vorzüge“ des Lagerbordells. Für ihre Arbeit erhielten sie eine geringfügige Bezahlung, die von der SS verwahrt wurde. Gleichwohl lebten die Frauen in völliger Abschottung und Isolation und waren der absoluten Kontrolle durch die SS unterworfen. Diese bestimmte über Zeitpunkt, Dauer und Art des Geschlechtsverkehrs und kontrollierte die „korrekte Ausführung“ der Vorgaben durch ein Guckloch. Die Frauen hatten diesbezüglich keinerlei Handlungsspielräume und mussten alle 15 Minuten einen anderen Freier bedienen. Verhütungsmittel waren nicht vorhanden, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaften stellten immense Probleme für die Frauen dar.20
Nach der Schließung des Lagerbordells Dachaus, vermutlich zum Jahreswechsel 1944/45, wurden die Frauen nicht entlassen. Stattdessen mussten sie in anderen Arbeitskommandos Zwangsarbeit leisten. Sieben der Zwangsarbeiterinnen mussten nach ihrem Einsatz im Lagerbordell in den Münchner Agfa-Kamerawerken, einem Außenlager des KZs Dachau, Zwangsarbeit leisten, wo sie im April 1945 befreit wurden.21 Drei Frauen wurden zurück nach Ravensbrück gebracht, zwei weitere blieben im Stammlager Dachau.22
Über die Einzelschicksale der Frauen aus Dachau ist kaum etwas bekannt. Zu groß ist die Scham über den Einsatz als Sex-Zwangsarbeiterin, aber auch der Druck, der auf die Frauen durch die Leerstelle in der Erinnerung an NS-Opfer und Überlebende nach 1945 ausgeübt wird. Die mangelnde Anerkennung als Verfolgte und Opfer des Nationalsozialismus trägt ebenso dazu bei.
Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell nach 1945
Der Umgang mit den Sex-Zwangsarbeiterinnen nach 1945 äußert sich in Distanzierung und fortgeführter Ausgrenzung auf verschiedenen Ebenen und durch unterschiedliche Akteure. Die nach Kriegsende gegründeten Verbände von Verfolgten begannen schnell damit, sich von den als „Asozial“ und „Berufsverbrecher“ inhaftierten Menschen zu distanzieren.23 Die bewusste Grenzziehung zwischen vermeintlich zu Recht Inhaftierten und den aus „politischen, rassischen oder religiösen Gründen“ Verfolgten setzt die Ausgrenzung fort. Sowohl in der BRD als auch in der DDR findet eine Kontinuität im Umgang mit „sozialen Außenseiter_innen“ statt und spiegelt sich in der Geschichte der Arbeitshäuser, die auch nach 1945 bestanden, wider.24 Bestärkt wird dies durch die mangelnde juristische Anerkennung als NS-Opfer. In beiden deutschen Staaten konnten ausschließlich die Menschen Entschädigung beantragen, die im Nationalsozialismus aus „Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ verfolgt wurden. Diese Definition schloss die als „Asozial“ inhaftierten Sex-Zwangsarbeiterinnen aus, und demnach hatten sie kein Anrecht auf eine Entschädigungszahlung. Ebenso wenig berücksichtigte das Gesetz Sinti, Roma, Homosexuelle oder Zwangssterilisierte.25
Neben der mangelnden juristischen Anerkennung der Sex-Zwangsarbeiterinnen als Opfer der NS-Verfolgung sind vor allem zwei Vorurteile zentral für die Ausbildung eines ausgrenzenden Narrativs: der Vorwurf der Freiwilligkeit des Einsatzes im Lagerbordell und der Vorwurf der rechtmäßigen Inhaftierung, aufgrund des Stigmas „Asozial“. Dabei äußern sich nicht nur Vorurteile gegenüber vermeintlichen sozialen Außenseiter_innen, sondern auch die hierarchischen Strukturen der Häftlingsgesellschaft, die sowohl für das Konzentrationslager Dachau als auch seine Außenlager (etwa Kaufering I-XI) galt. Die Häftlingsgesellschaften stellten nämlich „ein von der SS auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenideologie aufgezwungenes soziales Gefüge [dar]. Parameter wie Häftlingsnummern, Haftkategorie, Nationalität, berufliche Qualifikation, Zugehörigkeit zu Arbeitskommandos und Funktion waren entscheidend für die Stellung eines Häftlings.“ 26
In diesem System befinden sich Häftlinge der Kategorie „Asozial“ am unteren Ende der Rangfolge. Darüber hinaus muss betont werden, dass es vornehmlich Berichte männlicher Überlebender sind, die den Diskurs prägten. Wenngleich einige der Häftlinge den Zwangscharakter der Arbeit anerkannten und die Frauen als Mithäftlinge betrachteten, überwog die Skepsis gegenüber den Frauen. Gerüchte über einen verhältnismäßig pompösen Lebensstil im Sonderbau, besondere Privilegien wie das “Haare wachsen lassen”, Geschenke und bessere Nahrung verstärkten die Grenzziehung zwischen den Zwangsarbeiterinnen im Lagerbordell und den anderen Häftlingen. Gleichzeitig bot die Abschottung der Frauen vom restlichen Lager Anreiz für neue Gerüchte. Darüber hinaus war die bereits erwähnte Unterstellung der Freiwilligkeit der Arbeit das Hauptargument gegen die Frauen. Man war ihnen nicht nur vor, dass sie sich freiwillig für die Arbeit im Bordell gemeldet hätten, sondern auch, dass sie ihre bereits vor der Haftzeit existierende Promiskuität nur im Lager fortführen würden. Diese Vorurteile gegenüber den Sex-Zwangsarbeiterinnen halten auch nach 1945 an.27
Umgang mit dem Schicksal der ehemaligen Sex-Zwangsarbeiterinnen in Dachau
Auch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau war man lange nicht bereit, sich mit dem Lagerbordell und insbesondere mit den Schicksalen der Frauen zu beschäftigen. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch die US-Armee wurde der „Sonderbau“ zunächst für die Unterbringung hochrangiger russischer Offiziere verwendet. In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fungierte Dachau als Flüchtlingslager, im ehemaligen Bordell war vermutlich ein gastronomischer Betrieb untergebracht.28
Wann der „Sonderbau“ schließlich abgerissen wurde, ist nicht klar. Vermutlich verschwand er zwischen Ende der 1950er und Beginn der 1960er Jahre.29 Das ehemalige Lager Dachau wurde schließlich 1965 auf Betreiben ehemaliger Häftlinge zu einer Gedenkstätte. Dabei wurden die Leidenswege der ehemaligen Sex-Zwangsarbeiterinnen nicht thematisiert.
Die 2003 neu eröffnete Dauerausstellung widmet sich immerhin mit einer Informationstafel der Existenz von Frauen im eigentlichen Männerlager Dachau: „Etwa 7000 Frauen“ seien 1944 zur „Zwangsarbeit in die Außenlager“ deportiert worden. Auf den „Evakuierungstransporten im Frühjahr 1945 kamen Frauen auch vermehrt in das Stammlager, von wo aus viele kurz vor der Befreiung auf den Todesmarsch geschickt wurden.“30
Dass Frauen zur Hinrichtung in das KZ Dachau gebracht worden sind, dazu fehlen auf der Tafel jegliche Informationen.31 Über die Frauen aus dem Lagerbordell wird an dieser Stelle auch nicht informiert. Zwar wird auf die besonderen Haftumstände von Frauen hingewiesen, doch bezieht man sich dabei auf „die Demütigungen durch sexuelle Gewalt, die ständigen Entkleidungen und Untersuchungen auf Arbeitsfähigkeit und die fehlenden Hygienemöglichkeiten“.
Wie unsere Recherche zu den Zwangsarbeiterinnen auch in den Außenlagern Kaufering I-XI ergeben hat, trafen Frauen in NS-Lagersystemen unterschiedliche Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt. Der Begriff „sexuelle“ Gewalt greift an dieser Stelle zu kurz. Er impliziert, dass es sich um Gewalt handelt, die rein sexuell motiviert ist. Dabei wird der Fokus nicht auf die gewaltvolle Komponente gerückt und blendet dadurch Faktoren wie Macht und Unterwerfung aus. Darüber hinaus wird die doppelte Ausbeutung der Frauen, durch ihren von der SS erzwungenen Einsatz im Lagerbordell sowie die Ausbeutung durch Häftlinge, die als Freier den Zwangscharakter des Geschlechtsverkehrs hinnahmen, nicht berücksichtigt. Dadurch rücken die Machtstrukturen auch innerhalb der Häftlingshierarchie in den Hintergrund.
Der Platz des ehemaligen „Sonderbaus“, in welchem das Lagerbordell untergebracht war, steht heute leer. Auch dort steht eine Informationstafel, doch sie weist lediglich mit einem Satz auf die Nutzung des Gebäudes zur NS-Zeit hin:
„Im Frühjahr 1944 richtete die SS die sogenannte „Sonderbaracke“ ein. Dies war ein Bordell, in welchem weibliche Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück zur Prostitution gezwungen wurden.“
Die Beschriftung der Informationstafel beleuchtet weder die Geschichten der Frauen noch werden der beschwerliche Alltag, die Haftbedingungen oder der Umgang mit den Frauen nach der NS-Zeit thematisiert. Besuchern werden die Umstände des Bordells dadurch nicht ausreichend erklärt. Dies wird den Schicksalen der Frauen aus dem Lagerbordell nicht gerecht. Um ihnen eine angemessene Erinnerung zu ermöglichen, wäre es notwendig zuerst die Einzelschicksale aufzuarbeiten, ihnen anschließend mehr Raum zu geben und so einen respektvollen Umgang mit diesem Teil der Geschichte des KZ Dachaus zu ermöglichen.
Bei der Recherche vor Ort fragten wir eine Mitarbeiterin nach Frauen im ehemaligen Konzentrationslager Dachau und weiterführenden Informationen. „Die gab es doch hier kaum. Da haben wir eigentlich nicht viel da. Die paar Bücher, die hier liegen“, antwortete die Mitarbeiterin uns knapp. Weil die Geschichten weiblicher Zwangsarbeiterinnen im Raum München auch an anderen untersuchten Orten wie Landsberg/Kaufering und den „Agfa-Werken“ derzeit nicht ausreichend aufgearbeitet und thematisiert werden, fällt diese Aufgabe zumindest teilweise in den Verantwortungsbereich Dachaus als einer der wichtigsten Gedenkstätten an Verbrechen im Nationalsozialismus im Raum München. Besonders die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Lagerbordells und den Schicksalen der dort zur Sex-Zwangsarbeit inhaftierten Frauen müsste auf der Agenda zukünftiger Forschungen in Dachau stehen.
Die Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung der Gedenkstätte, Dr. Andrea Riedle, verweist auf die Schwierigkeiten bei der Konzeption der Ausstellungen allen ehemaligen Häftlingsgruppen gerecht zu werden:
„Wir stehen in der Gedenkstätte vor dem Problem, dass jede Gruppierung das Gefühl hat, zu wenig in der Ausstellung thematisiert zu werden.“
Auf die Geschichte weiblicher Häftlinge würde in den Führungen eingegangen, bei Nachfrage gebe es auch Informationen zum Lagerbordell.
„Es stellt sich aber grundsätzlich die Frage, ob unbedingt das Thema des Häftlingsbordells besonders hervorgehoben werden soll“ fügt Riedle hinzu, „dies kann doch auch sehr schnell einer gewissen Sensationsbefriedigung dienen.“
Die Frage, ob und wie das Thema der Sex-Zwangsarbeiterinnen den Besuchern zugänglich gemacht wird, stellt sich selbstverständlich. Gerade in Bezug auf die Frauen im Lagerbordell ist die Antwort komplex, da die Überlebenden keine Stimme haben und sich nicht, wie andere Opfergruppen, in Verbänden organisieren um ihre Interessen zu vertreten. Eine Erinnerung an die Frauen „nur“ als Sex-Zwangsarbeiterinnen nimmt ihnen jegliche Deutungshoheit und ist nicht zielführend. Dennoch kann das Lagerbordell nicht von der der Erinnerung an das Leid der Häftlinge im ehemaligen KZ Dachau getrennt werden, ist es doch auch Teil seiner Geschichte. Umso wichtiger ist eine angemessene Aufarbeitung der einzelnen Geschichten der Frauen, in der die Ausbeutung als Sex-Zwangsarbeiterin eine Episode ihres Schicksals darstellt.
Dass dies durchaus angemessen gelingen kann und nicht etwa voyeuristische Bedürfnisse der Besucher befriedigt, beweist die Sonderausstellung „Lagerbordelle – Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern“ der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Hier wird anhand dezidiert aufgearbeiteter Einzelschicksale das komplexe Thema der Sex-Zwangsarbeiterinnen den Besucher_innen anschaulich näher gebracht.
Ein Hinweis, der das Leiden der Sex-Zwangsarbeiterinnen in der Nachkriegszeit umreißt, liegt im Archiv der Gedenkstätte Dachau. In einem Brief wendet sich die Tochter einer ehemaligen Inhaftierten des KZ Dachau an das Archiv der Gedenkstätte, um mehr über die Umstände der Gefangenschaft ihrer Mutter zu erfahren. Diese hatte zeitlebens nicht über die Zeit im Konzentrationslager gesprochen, weder über den Inhaftierungsgrund noch die Haftbedingungen. Dass ihre Mutter als Sex-Zwangsarbeiterin im Lagerbordell arbeiten musste, erfuhr die Tochter erst von den Mitarbeitern der Gedenkstätte.32 Möglichkeiten zur weiteren Recherche sind also durchaus vorhanden, ergriffen haben diese bisher jedoch keine regionalen Wissenschaftler_innen, obwohl es durchaus von Relevanz wäre, dieser „vergessenen“ Opfergruppe eine Stimme zu geben.
Viele der Sex-Zwangsarbeiterinnen wurden nach der Schließung des Lagerbordells in die „Agfa-Camerawerke“ nach München-Giesing gebracht, wo sie mit zahlreichen Frauen Zwangsarbeit leisten mussten. Doch auch hier scheint sich bisher niemand für die Leidenswege der Frauen zu interessieren. Die „Agfa Holding“ setzte sich bis zur Aufgabe des Werks 2006 nicht öffentlichkeitswirksam mit der Firmenhistorie und dem damit verbundenen Einsatz von Zwangsarbeiter_innen auseinander. Auch nach mehrmaliger Anfrage war das Unternehmen für keine Stellungnahme zu erreichen.
Das Gelände erwarb die Stadt München im Zuge eines Neubauprojekts, das heute Wohnraum für knapp 2500 Münchner bietet. Die einzelnen Geschichten der Frauen sind nicht nur von Relevanz, um ihrem Leiden angemessen zu gedenken, sondern auch, um ihnen die Deutungshoheit über ihr Schicksal zu überlassen und sie nicht erneut als „Sex-Zwangsarbeiterinnen“ zu stigmatisieren.
- Sommer, Robert: Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Paderborn 2009, S. 145. ↩
- Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Geheimdokument bzgl. der Besichtigung von Konzentrationslagern vom 10. November 1943, Archiv der Gedenkstätte Dachau. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 272 ↩
- Josef Zeidler, Solidarität und Widerstand in Dachau (aus einem Brief an Hans Schwarz vom 10.3.1970), Archiv der Gedenkstätte Dachau, 8355, A 425; auch Zámečník beschreibt den Boykott des Bordells: Zámečník, Stanislav: Das war Dachau. Frankfurt 2007. S. 345. ↩
- Josef Zeidler, Solidarität und Widerstand in Dachau (aus einem Brief an Hans Schwarz vom 10.3.1970), 8355, A 425, Archiv der Gedenkstätte Dachau; Sommer, KZ-Bordell, S. 142. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 143. ↩
- Josef Zeidler, Solidarität und Widerstand in Dachau (aus einem Brief an Hans Schwarz vom 10.3.1970), 8355, A 425, Archiv der Gedenkstätte Dachau. ↩
- Geheimes Schreiben Himmlers an Pohl vom 15. November 1942, zitiert nach: Sommer, KZ-Bordell, S. 89. ↩
- Rund 85% der Frauen, die als Sex-Zwangsarbeiterinnen eingesetzt wurden, waren als „Asozial“ im KZ inhaftiert, s. Sommer, S. 224. ↩
- Alakus, Baris/Kniefacz, Katharina/Vorberg, Robert (Hg.): Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Wien 2007. S. 146. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 242. ↩
- Ders., S. 88f. ↩
- Sommer, Robert: Sonderbau. Die Errichtung von Bordellen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Berlin 2006, S. 71. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 143. ↩
- Zugangsbuch Dachau, Eintrag vom 16. April 1944, AUSHMM, RG-04.006 M Reel 4. ↩
- Zugangsbuch Dachau, AUSHMM, RG-04.006 M Reel 4 und 5. ↩
- Sieben Frauen sind als „DR, Asozial“ inhaftiert, fünf als „DR, Politisch“, zwei als „DR, Politisch/Asozial“, eine als „DR, Polizeilich Sicherheitsverwahrte“, zwei als „DR, Politisch/Polen“ und zwei als „Polen/Politisch“, s. Liste Weibliche Gefangene Sonderbau vom 12. Dezember 1944, AD 87/9; 996, Archiv der Gedenkstätte Dachau und Sommer, S. 144f. ↩
- Liste, Weibliche Gefangene Sonderbau vom 12. Dezember 1944, AD 87/9; 996, Archiv der Gedenkstätte Dachau. ↩
- Aus den von den Alliierten geführten Listen geht hervor, dass alle Sex-Zwangsarbeiterinnen 1945 befreit wurden. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 214f. ↩
- Auch nach mehrfacher Anfrage war die AgfaPhoto Holding GmbH zu keiner Stellungnahme bezüglich der Zwangsarbeiterinnen bereit. ↩
- Datenbank Dachau, abgerufen am 9. Juni 2015. ↩
- Alakus (u.a.), Sex-Zwangsarbeit, S. 176. ↩
- Sommer, Entschädigung. ↩
- Homosexualität war in der BRD noch bis 1973 ein Straftatsbestand, verfolgte Homosexuelle hatten so kein Anrecht auf Entschädigungszahlungen. Auch Sinti, Roma und Zwangssterilisierte hatten Schwierigkeiten ihre Ansprüche geltend zu machen. Mit dem BEG-Schlussgesetz von 1965 wurde beschlossen, dass Anträge auf Entschädigungszahlungen nur noch bis zum 31. Dezember 1969 eingereicht werden können. Zwangssterilisierte, Homosexuelle, als psychisch Kranke Verfolgte, Sinti und Roma werden zwar inzwischen im öffentlichen Diskurs als Opfer des Nationalsozialismus wahrgenommen, die juristische Situation ist weiterhin schwammig. Die Anerkennung als NS-Verfolgte ist somit lediglich symbolischer Art. Mitte der 1990er Jahre erhielten 174 als „Asozial“ inhaftierte eine einmalige Entschädigungszahlung. Dazu: Sommer, Entschädigung; Goschler, Constantin: Das Ende der Wiedergutmachung, in: Zeit Online, 28. Januar 2015, URL: http://www.zeit.de/2015/04/ns-opfer-entschaedigung-bilanz-70-jahre-nach-befreiungauschwitz/ seite-3, sowie Romey, Stefan: „Asozial“ als Ausschlusskriterium in der Entschädigungspraxis der BRD, In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrg.): Ausgegrenzt. „Asoziale“ und „Kriminelle“ im nationalsozialistischen Lagersystem, Bremen 2009, S. 149-159. ↩
- Schalm, Sabine: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933-1945. Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945. Band 10. Berlin 2009. S. 203. ↩
- Schikorra, S. 112, S. 123f.; Sommer, Entschädigung. ↩
- Sommer, KZ-Bordell, S. 144. ↩
- Ebd. ↩
- Informationstafel 9.11 „Frauen im KZ Dachau“, Dauerausstellung der KZ-Gedenkstätte Dachau. ↩
- Schalm, Sabine: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933-1945. Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945. Band 10. Berlin 2009, S. 187. ↩
- Archiv der Gedenkstätte Dachau, keine Signatur; eingesehen am 12.5.2015. ↩