Neben seiner Bedeutung als Standort kriegswichtiger Betriebe war München als „Hauptstadt der Bewegung“ auch ein propagandistisches Angriffsziel. In dem Zeitraum vom 1942 bis 1945 war die Landeshauptstadt eines der Ziele der Bombenangriffe der Royal Airforce (RAF) und US-Airforce. Nicht alle Bomben explodierten unmittelbar beim Aufprall. Die zahlreichen Blindgänger mussten mühevoll und unter Lebensgefahr freigelegt, abtransportiert oder vor Ort entschärft werden.1
von Miljan Jekić und Egor Trawkin
Während des Bombenkriegs wurden zunächst Strafgefangene und später verstärkt Lagergefangene aus dem KZ Dachau unter Anleitung ausgebildeter Sprengmeister in sogenannten Bombensuchkommandos (BSK) eingesetzt, um Langzeitzünderbomben und Blindgänger zu beseitigen. Den ersten Gefangenen, welche sich freiwillig zum Dienst meldeten, wurde administrativ zugesichert, nach der 10. entschärften Bombe ein Recht auf Entlassung zu bekommen. Dieses Versprechen wurde jedoch nie umgesetzt.2. Die Zahl der Freiwilligen genügte schon bald nicht mehr, weshalb die Lagerleitung Dachau daraufhin eine Zuteilung der Lagerinsassen zu den BSKs vornahm. Die Operationen wurden von dem Luftschutzabschnittskommando Süd, Luftgaukommando VII in Kooperation mit der Polizei organisiert. Das als die „Dachauer Hundertschaft“ bekannte Entschärfungskommando, welches aus den Gefangenen des Lagers Dachau zwangsrekrutiert wurde, brachte man in der Zeit vom Juli 1944 bis April 1945 in der Stielerschule, Stielerstr. 6, Isarvorstadt unter. Die erste Mannschaft aus 100 Personen wurde von der Lagerleitung in einer Julinacht 1944 auf dem Appellplatz des Gefangenenlagers formiert und unverzüglich in die Stielerschule am Bavariaring abtransportiert3.
Dort waren die Häftlinge fortan ständig untergebracht und operierten in einzelnen Sprengkommandos in ganz München, welche durch die Polizei bewacht wurden. Ihre Aufgabe war es, die Münchner Sprengmeister bei Freilegung und Entschärfung von Blindgängern zu unterstützen. Schon sehr früh mussten einzelne Häftlinge die Sprengkörper selbst entschärfen, da es nicht genug Sprengmeister gab.4 Für diese gefährliche Arbeit wurden die KZ-Häftlinge im letzten Kriegsjahr herangezogen. Täglich kamen an die 15 Personen durch Bombenexplosionen ums Leben. Sie wurden sofort durch neue Zwangsarbeiter aus dem Lager Dachau ersetzt.
Die verblichene Spur der „Dachauer Hundertschaft“ heute
Die evidentesten Spuren der „Dachauer Hundertschaft“ lassen sich in der ehemaligen Operationsstätte auffinden. Am Gelände der Stielerschule wurde eine steinerne Gedenktafel zur Ehren des Bombensuchkommandos angebracht. Seit der Errichtung der Tafel gibt es keine offiziellen Gedenkveranstaltungen mehr seitens der offiziellen Stellen der Stadt München. Die Tafel wird vom Bauamt der Stadt im Routinebetrieb regelmäßig gepflegt. Darüber hinaus werden weder auf dem Schulgelände noch an weiteren Orten in und um München Gedenkveranstaltungen für die bei der Bombenräumung eingesetzten Häftlinge abgehalten.5. Erst seit kurzem berichten einige Informationstafeln im NS-Dokumentationszentrum in München und im Museum der Gedenkstätte Dachau von dem Einsatz und den vielen Opfern des Kommandos.
In München sind die historisch relevanten Stellen, an denen Bomben entschärft wurden, bis heute auf keine Weise im entsprechenden Kontext markiert. Die vereinzelt dokumentierten Einsatzorte des Stielerschuler Bombensuchkommandos, wie das Anwesen in der Romanstr. 6 oder das Gaswerk Moosach, sind zwar heute auffindbar, jedoch längst überbaut oder umfunktioniert und enthalten kaum Spuren ihrer Vergangenheit aus der Zeit des Bombenkriegs gegen München. Dort, wo sich ehemals Gaswerk befunden hat, liegt heutzutage die Borstei. Auf dem früheren Anwesen in der Romanstaße befindet sich heute ein Pfarrheim. Das ursprüngliche Gebäude wurde komplett von den Bomben zerstört.6
- Richardi, Hans-Günter: Bomber über München. Der Luftkrieg 1939 bis 1945, dargestellt am Beispiel der „Hauptstadt der Bewegung“. München 1992, s. 97ff. ↩
- Richardi, Hans-Günter: Bomber über München, s. 393 ↩
- Pyziol, Katharina: Geschichte ist unteilbar. Rückblick auf das 30-jährige Bestehen des Vereins „zum Beispiel Dachau“ – Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte. Dachau 2013, s. 36-38. ↩
- (o.A.): Interview mit Franz Brückl, Video vom 12. August 1992. ↩
- Interview mit Claudia Schöll, Direktorin der Stielerschule, 10. Juli 2015, München ↩
- (o.A.): Interview mit Franz Brückl, Video vom 12. August 1992. ↩
- "Dachauer Hundertschaft"
- Bombenkrieg
- bombensuchkommando
- erinnerungskultur
- Franz Brückl
- gedenken
- KZ Dachau
- München
- Munich
- Zwangsarbeit