Neben den Archivmaterialien, können die Recherchen des Publizisten Hans-Günther Richardi als Quelle für diese Seite der Münchener Stadtgeschichte dienen. Richardi hat sich dem Erhalt der Erinnerung an das Bombensuchkommando verschrieben. In seinem Buch „Leben auf Abruf“ ist ein starkes Plädoyer zu lesen: „Was damals geschehen ist, darf niemals in Vergessenheit geraten. Und doch besteht heute schon die Gefahr, dass das Gras über die Vergangenheit wächst und das Leiden der Verfolgten und der Bedrängten verblasst. An das Hauptlager erinnert die KZ-Gedenkstätte in Dachau, aber die Nebenlager sind, wie eingangs erwähnt, bereits in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.“1
von Miljan Jekić und Egor Trawkin
Der Einsatz der KZ-Häftlinge für die Bombenentschärfung in München fand nach Kriegsende lange kaum Platz in der Erinnerungskultur der städtischen Öffentlichkeit. Sucht man heute nach materiellen Spuren dieses Einsatzes im Stadtraum oder auf Mahnmalen für die Opfer, ist man schnell mit deren Abwesenheit konfrontiert. Lediglich an der Stielerschule am Münchener Bavariaring weist eine Gedenktafel auf dieses Kapitel der Stadtgeschichte hin. Diese Tafel diente uns als Ausgangspunkt für die Erforschungen nach der Erinnerung an diese Opfer in München. Die Auseinandersetzung mit ihrer Entstehungsgeschichte führte zu einem lokalen Erinnerungsakteur – dem Verein “zum Beispiel Dachau e.V.”. Wie kam die Gedenktafel an der Stielerschule zustande, wer engagierte sich für die Erinnerung an die “Dachauer Hundertschaft”?
Die Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte „zum Beispiel Dachau“ e.V. wurde 1981 von Bürger_innen aus der Stadt und dem Landkreis Dachau gegründet und kann als ein zentraler Akteur hinter der Erinnerungsarbeit um die „Dachauer Hundertschaft“ gelten. Der Verein befragt Zeitzeug_innen, erforscht historische Quellen und organisiert beinahe jährlich Informationsveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen in besagtem Kontext.2 Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau mit seinen Außenlagern, Häftlingen wie auch der Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert.
Der Anlass zur Idee der Vereinsgründung war laut dem Vorsitzenden des Vereins Prof. Dr. Karl Hönle die 1979 ausgestrahlte, vierteilige TV-Sendereihe „Holocaust“3, welche eine belebte Diskussion in der Stadt Dachau – sowohl in den lokalen Vereinen als auch im Stadtrat – angestoßen hat. Generell stand die Mehrheit der Bevölkerung in dieser Zeit der Erinnerung an die nationalsozialistische Gewalt als einem Abschnitt der Stadtgeschichte sehr reserviert gegenüber.4 Dies äußerte sich unter anderem im Versuch des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt Dachau Lorenz Reitmeier, die Malervergangenheit der Stadt hervorzuheben und damit die zwölf Jahre der Lagergeschichte zu überdecken.5 So wurden die von dem Verein unterstützten Vorschläge zur Errichtung einer Jugendbegegnungsstätte oder eines Kulturzentrums für Sinti und Roma vehement abgelehnt.6
Nachdem die KZ-Gedenkstätte Dachau unter Mitwirkung der bundesweiten Vertretung der Überlebenden „Lagergemeinschaft Dachau“ gegründet worden war, hofften politische Kräfte innerhalb der CSU in der Stadtverwaltung und den leitenden Gremien der Stadt Dachau auf ein baldiges Abebben der Besucherzahlen, was jedoch nicht geschah. „Es müsste mehr in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung passieren“, dachten einige Dachauer und beschlossen, den bürgergesellschaftlichen Verein zu gründen, wie Hönle in Gespräch betonte. Als 1989 die ersten Schriften des Vereins „zum Beispiel Dachau“ folgten, fand ein allmähliches Umdenken innerhalb der örtlichen Bevölkerung statt, was neben der Initiative lokaler historischer Vereine in Dachau auch zum Teil vom allgemeinen Diskurswandel in Deutschland eingeleitet wurde.7 „zum Beispiel Dachau“ e.V. brachte historische Belege dafür, dass es in Dachau durchaus Bürger gegeben hatte, die das Lager nicht guthießen und sogar vereinzelt Häftlingen geholfen haben.8 Entscheidend für den erinnerungspolitischen Wandels war die scharfe Auseinandersetzung um das Projekt „Internationale Jugendbegegnungsstätte“, das vom „Förderverein für Internationale Jugendbegegnung“ e.V. gefördert wurde. Der Verein wurde 1984 mit Unterstützung von „zum Beispiel Dachau“ e.V. gegründet.
Nach vielen Diskussionen zwischen den engagierten Bürger_innen und Aktivist_innen im Stadtrat sowie den obengenannten Vereinen und der regierenden Parteie CSU und der „Überparteilichen Bürgerbewegung“ in der Stadtverwaltung sah die damalige Stadtführung schließlich ein, dass die Stadt sich mit dieser Thematik auseinandersetzen musste.9 Jene Entwicklungen erleichterten die Kooperation des Vereins mit der Stadtverwaltung erheblich und sicherten fortan die finanzielle Unterstützung des Vereins von städtischer Seite.10
Die Anbringung der Gedenktafel an der Stielerschule
Die Opfer unter den KZ-Häftlingen in den Kommandos der Außenlager gingen nach dem Krieg in der großen Masse zahlloser anonymer Opfer des Bombenkriegs gegen die ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“ unter. Sehr wenige ehemalige Zwangsarbeiter_innen, die am Leben geblieben sind, blieben nach ihrer Befreiung in Juli 1945 in München, noch weniger von ihnen wollten sich auch nach Jahren danach aktiv in die öffentliche Erinnerungsarbeit einbringen.11
Hans-Günther Richardi, Journalist, Historiker und Autor der Publikationsreihe Dachauer Dokumente, befasste sich im Rahmen der Aufarbeitung zeitgeschichtlicher Themen rund um die Geschichte des Konzentrationslagers Dachau mit dessen Außenlagern, sowie auch mit den Kapiteln der Stadtgeschichte, die nur wenig oder überhaupt nicht beachtet worden waren. Im Stadtarchiv entdeckte er administrative Briefe der Münchner Luftschutzleitung, welche den zivilen Luftschutz und die Sprengkörperbeseitigung in der Landeshauptstadt leitete und unter dem Oberkommando des Polizeipräsidenten stand. Der Briefverkehr fand zwischen den zuständigen Stellen der Luftschutzleitung und den örtlichen Abteilungen der Schutzpolizei statt, welche mit der Organisation und Überwachung einzelner Kommandos zur Bombenbeseitigung betraut waren. Dort wurden mehrfach die Einsätze der KZ-Häftlinge und die gefahrvolle Durchführung der Bombenbeseitigung beschrieben.12
Mit Hilfe dieser Archivalien stieß Richardi auf einen Überlebenden der „Dachauer Hundertschaft“ – Franz Brückl – und machte ihn in München ausfindig. Durch die Zusammenarbeit zwischen Franz Brückl und Hans-Günter Richardi entstand 1989 der erste Band der historischen Schriftenreihe Dachauer Dokumente, der sich mit dem Blindgängerbeseitigungskommando befasste. Die Schriftenreihe wurde vom Verein „zum Beispiel Dachau“, dessen Gründungsvorsitz Richardi inne hatte, ins Leben gerufen.13 Im Frühjahr 1988 wandte sich der Vereinsvorstand an den dritten Bürgermeister der Stadt München, Dr. Klaus Hahnzog, mit der Bitte, ein Zeichen zu Ehren der Opfer an der Stielerschule zu setzen. Daraufhin ließ die Stadt eine Gedenktafel am 7. November 1989 an der Stielerstr. 6 neben der Eingangstür der Schule anbringen. Den Entwurf gestaltete der akademische Bildhauer Karl Oppenrieder. Die Inschrift wurde in Übereinstimmung mit dem Vorsitzenden der Lagergemeinschaft Dachau, Eugen Kessler, Franz Brückl und Hans-Günther Richardi konzipiert. Bis heute ist diese Tafel nach Angaben der Vereins und der Schulleitung der einzige formelle Hinweis auf die Existenz der „Dachauer Hundertschaft“ in der Stadt München.14 Die Tafel hat folgenden Inschriftt:
„Zum Gedenken an das Bombensuchkommando des KZ Dachau[,] das in der Zeit vom Juli 1944 bis zum April 1945 hier untergebracht war[.] Die SS zwang die Häftlinge unter Einsatz ihres Lebens Bomben in München zu bergen und zu entschärfen[.] Zahllose Gefangene fanden dabei den Tod [.] Ihr Opfer ist uns Mahnung und Verpflichtung. – Landeshauptstadt München, Verein „zum Beispiel Dachau““.
- Richardi, Hans-Günther: Das Blindgängerbeseitigungskommando aus dem KL Dachau in München 1944/45. In: Dachauer Dokumente, Bd. 1 (1989), Dachau, S. 22, 34-46. ↩
- zum Beispiel Dachau (2015): Ein Verein stellt sich vor. Dachau. ↩
- Interview mit Karl Hönle und Monika Lücking, Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Vgl. Pyziol, Katharina: Geschichte ist unteilbar. Rückblick auf das 30-jährige Bestehen des Vereins „zum Beispiel Dachau“ – Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte. Dachau 2013, s. 14. ↩
- Interview mit Karl Hönle und Monika Lücking, Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Karl Hönle und Monika Lücking, Verein „Zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Interview mit Karl Hönle und Monika Lücking, Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- Vgl. Hans-Günter Richardi (1989): Leben auf Abruf, s. 34-46. ↩
- Vgl. Pyziol, Katharina: Geschichte ist unteilbar. Rückblick auf das 30-jährige Bestehen des Vereins „zum Beispiel Dachau“ – Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte. Dachau 2013, s. 17-18. ↩
- Interview mit Karl Hönle und Monika Lücking, Verein „zum Beispiel Dachau“, 15. Mai 2015, Dachau. ↩
- "Dachauer Hundertschaft"
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