- Die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter_innen durch die BRD
- “Meine Eltern waren Zwangsarbeiter”
- “Mein Leben war immer von Angst bestimmt.”
- Kinder und Jugendliche in Zwangsarbeit
Zwangsarbeit – das bedeutete im nationalsozialistischen Deutschland nicht nur die Verschleppung und Ausbeutung erwachsener Männer und Frauen. Auch Kinder und Jugendliche zählten zu den Opfern. Von den Familien getrennt und aus ihrer Heimat verschleppt wurden sie, ähnlich wie Erwachsene, als Arbeitskräfte ausgebeutet.
von Marie Grünter, Michael Störk, Enno Strudthoff
Besonders schlimm wurden aus rassenideologischen Gründen tausende Kinder und Jugendliche aus dem östlichen Europa behandelt. Sie mussten unter anderem in Industrie, Landwirtschaft und als Hausangestellte arbeiten. Gerade in der Industrie mussten sie besonders schwere Arbeit leisten. Ein Beispiel hierfür ist das damalige Heeresmunitionsdepot “MUNA” in Hohenbrunn, auf dessen Gelände erst vor kurzem Kinderleichen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gefunden wurden. Es gab zwar rechtliche Bestimmungen wie ein Mindestalter, unter dem Kinder gar nicht zur Arbeit verpflichtet werden durften – derlei Gesetze wurden jedoch im Laufe der Zeit oft gebrochen und von der Obrigkeit stark abgeschwächt, sodass kaum mehr etwas von den Schutzbestimmungen übrig blieb. Bis Ende 1943 wurde das Mindestarbeitsalter in gewerblichen Betrieben auf zwölf Jahre heruntergesetzt. Der Rüstungskonzern Krupp setzte gar Sechsjährige ein. Da sie nicht unter das deutsche Kinder- und Jugendschutzgesetz fielen, mussten Kinder und Jugendliche aus dem östlichen Europa teilweise zwischen zehn und zwölf Stunden Arbeit am Tag verrichten und konnten keine Schule besuchen. Im Gegenteil: Um sie zu “erziehen” wurden Kinder oft schikaniert und körperlichen Strafen ausgesetzt. Viele erkrankten aufgrund von Erschöpfung und Unterernährung.1 2 Krank wurde auch die Zeitzeugin Ljuba, die als Jugendliche nach Deutschland verschleppt wurde und in einer Phosphor-Fabrik arbeiten musste. Sie hatte Glück: Eine Ärztin setzte für sie eine Versetzung an einen weniger gefährlichen Arbeitsplatz durch.
Obwohl es bereits Versuche gab, eine genaue Zahl der Zwangsarbeiter_innen im Nationalsozialismus zu ermitteln, konnten bisher nur Schätzungen abgegeben werden. Der Historiker Mark Spoerer versuchte diese Lücke zu schließen, indem er zahlreiche Statistiken des Reichssicherheitshauptamtes und anderer zuständiger Stellen auswertete und zu dem Schluss kam, dass es 1944 knapp 6 Millionen ausländische Zwangsarbeiter waren. 3 Er stand dabei jedoch vor dem Problem, dass auch diese Daten nicht vollständig sind. Zwar basieren sie auf offiziellen Zahlen, die im August 1944 bekannt gegeben wurden, damit bleiben jedoch die beim Rückzug der Wehrmacht “evakuierten” Personen beziehungsweise die nach 1944 zwangsverpflichteten Arbeiter_innen außen vor. Es bleibt also eine hohe Dunkelziffer nicht registrierter Kinder und Jugendlicher.4
Anzahl junger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nach Alter (inkl. Geburtsjahrgang) und Geschlecht in Deutschland. Daten aus dem August 1944. Eigene Aufarbeitung der Daten. Vgl. Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin u.a. 1985, hier: S. 247ff.
Schwangerschaft und Unterbringung von Kindern von Zwangsarbeiterinnen
Laut Mark Spoerer kann man von etwa zwei Millionen Zwangsarbeiterinnen ausgehen, die in Deutschland eingesetzt wurden. Insgesamt 84 Prozent der Arbeiterinnen kam aus dem östlichen Europa. Die meisten von ihnen waren zwischen 15 und 25 Jahren alt. Einige dieser zwei Millionen Frauen – zwischen zwei und fünf Prozent – wurden während ihres Aufenthaltes in Deutschland schwanger. Im Juni 1944 bezifferte das Reichsinnenministerium die Anzahl ausländischer Kinder auf etwa 140.000, wovon 94 Prozent Kinder von Polinnen und von sogenannten “Ostarbeiterinnen” aus der Sowjetunion waren. Im Dezember 1942 wurde durch Fritz Sauckel, Hitlers Generalbevollmächtigten für Zwangsarbeit, eine neue Richtlinie eingeführt um die Abschiebung Schwangerer zu unterbinden, denn sonst hätten Frauen auf legale Art ausreisen können. Dies galt es zu verhindern – schließlich wurden Arbeitskräfte in Deutschland dringend gebraucht. Statt die Frauen abzuschieben, wurden also von nun an Entbindungs- und Kinderanstalten eingerichtet. Zudem wurden “freiwillige” Schwangerschaftsabbrüche polnischer Frauen nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern gefördert und teilweise sogar unter Androhung einer KZ-Einweisung erzwungen. Etwa ein Viertel der Zwangsarbeiterinnen führte unter diesen Bedingungen eine Abtreibung durch. Zwar gab es formal auch einen Mutterschutz für diese Frauen, die arbeitsfreie Zeit vor und nach der Geburt sowie zusätzliche Essensrationen waren jedoch sehr viel geringer, als die von Zwangsarbeiterinnen anderer Staaten. Dies wurde sogar ideologisch begründet: Die Entwicklung “nicht-arischer” Babys sei nicht so komplex wie die von “Ariern”. Die Mütter bräuchten also keine zusätzliche Kost.5
Die Kinder der Zwangsarbeiterinnen wurden durch einen Erlass des Reichssicherheitshauptamtes in “gutrassige” beziehungsweise “erhaltenswürdige” und “schlechtrassige” unterschieden. Die Sterblichkeitsrate in den Entbindungsheimen für “schlechtrassige” Kinder lag bei etwa 85 Prozent. Die “gutrassigen” Kinder wurden in besondere Pflegeheime überbracht. Bis 1944 wurden solche “Ausländerkinder-Pflegestätten” in vielen Städten errichtet, auf dem Land fehlten sie jedoch meist. Bis heute leben in Deutschland Tausende von Nachkommen der Zwangsarbeiterinnen und deutscher Väter, die nicht wissen, wer ihre Mütter waren.6 7 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Zeitzeugin Nadja, die als Tochter von Zwangsarbeitern in der Nähe von München auf einem Bauernhof geboren wurde.
Haushaltsgehilfinnen aus dem östlichen Europa
Als ein Beispiel für den Einsatz von Jugendlichen kann die gezielte Zwangsverschleppung von Mädchen und Frauen gesehen werden. Ende 1939 hatte der Leiter des Rassenpolitischen Amtes Walter Gross die Idee, Haushaltsgehilfinnen und Köchinnen nach Deutschland zu vermitteln. Dabei wurde darauf Wert gelegt, dass nur “rassisch erträgliche” Frauen und Mädchen eingesetzt werden sollten. Der Reichskommissar zur Festigung des Deutschen Volkstums, Heinrich Himmler, war allerdings zunächst strikt dagegen. Himmler installierte jedoch schließlich ein Verfahren, bei dem die Außenstelle des Rasse- und Siedlungshauptamtes in Łódź im besetzten Polen als Dreh- und Angelpunkt für die Vermittlung 16- bis 20-jähriger “reinrassiger” Mädchen und Frauen war. Diese unterschritten allerdings auch oft die vorgegebene Altersgrenze. Auch ranghohe Parteifunktionäre “bestellten” sich nach entsprechenden Vorgaben Dienstmädchen. Am 3. September 1942 wurde durch Fritz Sauckel angeblich auf direkten Befehl Hitlers die “Hereinnahme” von etwa 400.000 bis 500.000 “reinrassigen” Mädchen und Frauen zwischen 15 und 35 Jahren angeordnet, wovon ein Teil als Haushaltsgehilfinnen arbeiten sollte.8
Die “HEU-Aktion”
Als ein Beispiel und Nachweis für die direkte Kinder-Zwangsarbeit kann die sogenannte “HEU-Aktion” (Heimatlos, Elternlos, Unterkunftslos) gesehen werden, die am 28. Mai 1944 startete und die Anweisung beinhaltete, dass alle Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren im Gefechtsgebiet der Ostfront zu erfassen seien, um sie nach Deutschland zu bringen. Hintergrund war die Argumentation, dass die Kinder durch die herannahende Rote Armee demnächst in kriegerische Handlungen miteinbezogen würden und daher auch in Deutschland als Arbeitskräfte eingesetzt werden könnten. Dabei wurden vor allem die älteren Kinder zur Zwangsarbeit in verschiedenen Fabriken wie den Junkers-Werken eingesetzt. Die ermittelten Zahlen der tatsächlich bei der HEU-Aktion verschleppten Kinder schwanken zwischen 3.000 und 4.500.9 10
- Vgl. Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung: Erinnerung bewahren. Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Polen 1939 – 1945. Nürnberg, 2009, S. 133f. ↩
- Vgl. Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945. Stuttgart; München 2001, S. 146f. ↩
- Vgl. Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 222. ↩
- Vgl. Steinert, Johannes-Dieter: Deportation und Zwangsarbeit: polnische und sowjetische Kinder im nationalsozialistischen Deutschland und im besetzten Osteuropa 1939 – 1945. Essen 2013, S. 26ff. ↩
- Vgl. Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, S. 151ff. ↩
- Vgl. Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945, S. 205ff. ↩
- Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin u.a. 1985, S. 247ff. ↩
- Vgl. Steinert: Deportation und Zwangsarbeit, S. 134ff. ↩
- Ebd. ↩
- Featured image – bereitgestellt durch das Bundesarchiv über die Plattform Wikipedia mit der Creative-Common-Lizenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-J09198,_Kinderhort_in_%22Ostarbeiterlager%22.jpg ↩