Das Gelände an der Ehrenbürgstraße im Münchner Stadtteil Neuaubing hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren. Während der NS-Diktatur diente es als Zwangsarbeitslager. Später nutzten es Kunstschaffende. Jetzt soll daraus ein Erinnerungsort werden.
von Lukas Eichner, Lisa Füchte, Anke Oehler
Im Westen Münchens, im Stadtteil Neuaubing, liegt ein Ensemble von gleichförmigen Steinbaracken, versteckt inmitten von Bäumen. Das Gelände schließt sich an eine Einfamilienhaussiedlung an, dahinter nur noch Wiesen, ein Gewerbegebiet und die B2 Richtung Germering. Den Eingang in der Ehrenbürgstraße 9 findet man nur, wenn man ihn kennt.
Eines von zwei erhaltenen Lagern

Von 1942 bis 1945 fungierte das Gelände als Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter überwiegend aus dem östlichen Europa, die im nahe gelegenen Eisenbahnausbesserungswerk der Reichsbahn eingesetzt wurden. Die Zwangsarbeit von deutschlandweit über zwölf Millionen Männern und Frauen war zentraler Teil der deutschen Kriegswirtschaft.1 Allein in München und Umgebung gab es über 400 Lager2, in denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter untergebracht waren. Das Gelände in der Ehrenbürgstraße 9 ist heute neben einem Komplex in Berlin-Schöneweide, der seit 2006 als Dokumentationszentrum dient, das einzige erhaltene zusammenhängende Lagerensemble deutschlandweit. Von ursprünglich elf Baracken stehen nur noch acht. Kleine Details verweisen heute noch auf ihre frühere Nutzung. So erzählt der Schreiner Christoph Wittner von erhaltenen Fensterläden an den Unterkunftsbaracken, die nur von außen verschließbar waren, um die Insassen an der Flucht zu hindern. In der Wirtschaftsbaracke finden sich Spuren der Herde, auf denen die Verpflegung zubereitet wurde.3 Etwas versteckt im Eingangsbereich befinden sich außerdem zwei Splitterschutzbunker, vermutlich für das Wachpersonal.

Ein seltener Freiraum
Die Baracken haben jedoch noch eine andere Nutzungsgeschichte, denn seit den 1980er Jahren dienen sie Kunstschaffenden sowie Handwerkerinnen und Handwerkern als Ateliers und Werkstätten. Die Deutsche Bahn, in deren Besitz das Gelände nach Gründung der Bundesrepublik überging, hatte wenig Interesse an einer weiteren Instandsetzung.4 Die neuen Mieter und Mieterinnen waren sich selbst überlassen und hatten eine recht große Autonomie bei der Gestaltung des Geländes und der Nutzung der Baracken. In den letzten Jahrzehnten entstand hier ein künstlerischer Freiraum, der in dieser Form eine Seltenheit für München ist. Doch auch die NS-Vergangenheit des Lagers beschäftigte die Bewohner und Bewohnerinnen: Sie organisierten eine Ausstellung und Führungen über das Gelände.5 Die Stadt verdrängte ihre Rolle als „Hauptstadt der Bewegung“ während der NS-Diktatur lange Zeit und stand einer historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen ablehnend gegenüber.6
Lernen und erinnern am authentischen Ort
Als nach jahrelangem Ringen zwischen Bürgerinitiativen, Stadtrat und bayerischer Landesregierung der Bau eines NS-Dokumentationszentrums genehmigt wurde, rückte auch das Gelände in der Ehrenbürgstraße 9 in den Fokus der Stadtverwaltung: 2009 wurden die Baracken unter Ensembleschutz gestellt und die zwei Splitterschutzbunker als Bodendenkmäler eingetragen. 2011 beschloss der Stadtrat, das Gelände als Außenstelle des NS-Dokumentationszentrums zu nutzen. Der geplante Lern- und Erinnerungsort soll sich explizit mit dem Thema Zwangsarbeit auseinandersetzen und das Lager in seinen historischen Kontext einbetten.7 Vor allem die Baracke 5, die in den letzten Jahrzehnten nicht aktiv genutzt wurde und deshalb fast original erhalten ist, soll die Baustruktur der Baracken und damit die Wohnverhältnisse im Lager verdeutlichen. Um sie für Besucher zugänglich zu machen, muss sie jedoch vorher noch renoviert werden.8 Auch für Bauplanung der Stadt hat das Gelände an Bedeutung gewonnen, so wird auf einer angrenzenden Grünfläche der neue Stadtteil Freiham gebaut, in welchem 20.000 Menschen leben sollen.

Mit dem Beschluss der Stadt, das gesamte Gelände zu kaufen, beginnt wiederum eine neue Phase. Die Nutzerstruktur durch die Mieter soll zwar erhalten bleiben, durch die Umnutzung wird es jedoch zwangsläufig zu Veränderungen kommen.
Wie bei der Renovierung der Baracke 5, die nicht eine Rekonstruktion des Originalbaus beinhaltet, sondern die verschiedenen Zeiten der Nutzung verdeutlichen soll, wird auf dem gesamten Gelände auch in Zukunft keine einheitliche Geschichte dargestellt. Vielmehr werden nebeneinander verschiedene Nutzungen und damit auch verschiedene Ebenen der Geschichte sichtbar.
- Nerdinger, Winfried: Zwangsarbeit und Lagersystem. In: Ders. (Hg.): Ort und Erinnerung. Nationalsozialismus in München. München 2006, S. 90-104, hier S. 90. ↩
- Ebd. ↩
- Interview mit Christoph Wittner, 10.02.2015, Neuaubing. ↩
- Ebd. ↩
- Ebd. ↩
- Nerdinger: Zwangsarbeit und Lagersystem, S. 93. ↩
- Vorläufiges Nutzungs- und Betriebskonzept. Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates vom 23.11.2011 (RIS Nr. 08-14 / V 07779). ↩
- Ebd. ↩
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