- Entstehungsgeschichte des Gedenksteins
- Der Arbeitskreis „Ortsgeschichte 1933-1945“
- Was passierte mit dem Gelände nach dem Kriegsende?
- Die Heeresmunitionsanstalt in Hohenbrunn
88 Tage musste Elisabeth W. in der von der deutschen Wehrmacht betriebenen Heeresmunitionsanstalt (MUNA) in Hohenbrunn im Landkreis München arbeiten. Am 12. Dezember 1943 verließ die damals 40-jährige Frau die Anstalt unter ungeklärten Umständen. Damit verliert sich für uns ihre Spur. Wo sie danach war, ob sie den Krieg überlebt hat, das wissen wir nicht. Alles, was wir über Elisabeth W. wissen, steht in einer „Arbeitskarte“ und einer „Aufenthaltsanzeige für Arbeitskräfte aus Sowjetrußland“, die im Staatsarchiv München erhalten geblieben sind.1
von Luisa Lehnen und Maria Levchenko
Elisabeth W. war verheiratet und hatte vier Kinder. Zusammen mit ihren vier Töchtern und weiteren Familienmitgliedern wurde sie im Sommer 1943 aus der Kleinstadt Oster in der heutigen Ukraine nach Deutschland verschleppt. Ihre älteste Tochter war damals zehn, die jüngste drei Jahre alt.2 Im Heeresmunitionsdepot in Hohenbrunn wurden Elisabeth W. und ihre Angehörigen zum Arbeitsdienst gezwungen. Laut ihrer Arbeitskarte war Elisabeth W. in ihrem Herkunftsort „Landarbeiterin“, von den Nationalsozialisten wurde sie als sogenannte „Hilfsarbeiterin“ eingesetzt.3 Darüber, wie ihr Arbeitsalltag ausgesehen haben könnte, gibt es jedoch kaum Informationen.
Elisabeth und ihre Familie gehörten zu den insgesamt 4.500 Personen, die in der Heeresmunitionsanstalt für die Wehrmacht beschäftigt waren. Mit einer Anzahl von etwa 780 Personen gehörte die MUNA zu den größten Lagern für ausländische Zwangsarbeiter_innen im Landkreis München.4 Etwas weniger als die Hälfte von ihnen waren sogenannte „Ostarbeiter“ beziehungsweise „Ostarbeiterinnen“ aus den von den deutschen Truppen besetzten Ostgebieten, vor allem aus dem Gebiet der heutigen Ukraine. Ein Drittel der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter kam aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, die Übrigen aus Frankreich, den Niederlanden, Italien und Griechenland.5 In der Chronik der Gemeinde Hohenbrunn von 1964 schreibt der Verfasser Alois Beham von einem „Völkergemisch“, das in der MUNA für den „Endsieg“ gearbeitet habe.6
Arbeiten unter Lebensgefahr
Die Arbeit bestand unter anderem in der Munitionsfertigung. Das geht aus Briefen hervor, die die Historikerin Elsbeth Bösl im Zuge ihrer Recherchen zur Zwangsarbeit in der MUNA erhalten hat.7 Demnach mussten die Inhaftierten beispielsweise Eisen erhitzen und bearbeiten oder Munitionshülsen säubern. Protokollartig führt Chronist Beham die Folgen auf, die der tägliche Kontakt mit gefährlichen Chemikalien hatte: „Am 31.8.1944 gegen 13 Uhr ereignete sich ein Explosionsunglück im Arbeitshaus I der Heeresmunitionsanstalt Hohenbrunn: sechs Tote. Am 20.1.1945 wiederum eine Detonation im Arbeitshaus IV der Munitionsanstalt: drei Tote.“8 Woher Beham seine Informationen hatte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.
Krankheiten und Mangelernährung
Auch Unterbringung und medizinische Versorgung müssen in der Munitionsanstalt sehr schlecht gewesen sein, wie in einem Brief der ehemaligen Zwangsarbeiterin Anna zu lesen ist, die 1943 im Alter von neun Jahren in die MUNA kam. Darin heißt es: „Wir haben in Baracken gewohnt in hölzernen Stockbetten. […] Die Baracken waren mit einem Stacheldraht umzäunt und waren überwacht. Zu Essen haben wir zu wenig bekommen und das Essen war nicht gut. Wir hatten Hunger. Ich hatte immer Schmerzen in den Knien. Wir waren ohne Kräfte und sind oft hingefallen.“9 Zudem lässt sich anhand der im Gemeindearchiv erhalten gebliebenen Arbeiterkartei der MUNA feststellen, dass mehrere Kinder, zum Teil noch unter drei Jahren, während ihres Aufenthalts in der Munitionsanstalt ums Leben gekommen sind.10 2011 stießen spielende Kinder in Hohenbrunn auf sterbliche Überreste, die anschließend im Münchner Institut für Rechtsmedizin untersucht wurden. Wie der Münchner Merkur berichtete, handelt es sich nach Aussage der Rechtsmediziner_innen um die Knochen von 21 Kindern, die vermutlich an einer ansteckenden Krankheit verstarben.
Was aus den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde, die die Heeresmunitionsanstalt nach der Befreiung durch amerikanische Soldaten lebend verlassen konnten, wissen wir nicht. Es ist nicht bekannt, dass jemand von ihnen später noch einmal nach Hohenbrunn zurückgekehrt ist.
- StAM, BezA/LRA 178.117. ↩
- Bösl, Elsbeth/Kramer, Nicole/Linsinger, Stephanie: Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit. „Ausländereinsatz“ im Landkreis München 1939-1945. München 2005, S. 120. ↩
- StAM, BezA/LRA 178.117. ↩
- Bösl u.a., Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit, S. 96. ↩
- Ebd., S. 84. ↩
- Beham, Alois: 1150 Jahre Hohenbrunn. Hohenbrunn 1964, S. 137. ↩
- Bösl, Elsbeth/Kramer, Nicole/Linsinger, Stephanie: Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit. Merkmale des „Ausländereinsatzes“ im Landkreis München. In: Heusler, Andreas/Spoerer, Mark/Trischler, Helmuth (Hg.): Rüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit im „Dritten Reich“. München 2010, S. 149-162, hier S. 155. ↩
- Beham, 1150 Jahre Hohenbrunn, S. 137. ↩
- Zit. nach Bösl u.a., Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit (2010), S. 155. ↩
- Bösl u.a., Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit, S. 96. Wir haben leider keinen Zugang zum Gemeindearchiv erhalten. ↩
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