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- Das KZ in Utting: Kontaktmomente zwischen Dorfbewohner_innen und KZ-Häftlingen
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Da die Versorgung mit Nahrungsmitteln im Konzentrationslager sehr schlecht war, waren die Häftlinge auf Unterstützung der Anwohner_innen angewiesen. Viele Menschen haben dabei weggesehen, doch es gibt auch Berichte von Überlebenden und Ansässigen, dass manche den Leidenden Lebensmittel zusteckten.
von Susanne Maslanka, Sophie Rathke und Theresa Weiß
In Gesprächen mit Zeitzeug_innen aus Utting wurde oft berichtet, dass die Ansässigen bereits 1944 über die Existenz des Konzentrationslagers Bescheid wussten. Zwar lag das Lager außerhalb des Dorfes, aber Zwangsarbeit musste zum Teil auch im Dorf verrichtet werden. Manche haben die KZ-Insassen bei ihrem Weg durch Utting oder bei der Zwangsarbeit beobachtet. Einige wenige Gemeindemitglieder hatten auch persönlichen Kontakt zu den Gefangenen, zum Beispiel bei der Lebensmittelauslieferung an die Lagerküche.
Was wussten die Menschen vor Ort?
Einige Dorfbewohner_innen nahmen an, dass die Gefangenen Verbrecher seien. Andere waren sich durchaus bewusst, dass es sich bei den Vorbeiziehenden um jüdische KZ-Häftlinge handelte. Der Anblick der ausgemergelten Kranken und Schwachen war für Beobachtende schockierend. Vor allem Kindern grub sich dieses Bild tief ins Gedächtnis ein und belastet sie noch heute.1
Neben der Firma Dyckerhoff & Widmann profitierten noch andere Akteure in Utting von der Zwangsarbeit. Zum einen Privatpersonen, die Fahrdienste wie Häftlingstransporte und Nahrungsmittelanlieferungen übernahmen und sich dadurch Vorteile verschafften. Zum anderen konnten auch ortsansässige Firmen und die Gemeinde die Häftlinge als Arbeitskräfte ausnutzen.
Gab es Hilfeleistungen durch die Ortsansässigen?
Der desaströse gesundheitliche Zustand der Gefangenen löste bei vielen Außenstehenden Empathie und Mitgefühl aus. Um die KZ-Insassen vor dem Verhungern zu bewahren, legten sie Lebensmittelrationen in erreichbare Nähe der vorbeiziehenden Gefangenen. Das war für die Hungernden überlebenswichtig:
„[Zum Überlebenskampf] gehörte auch das an sich Nehmen von gekochten Kartoffeln, die von mitleidigen Menschen neben einen Gartenzaun oder auf ein Fensterbrett in erreichbarer Höhe gelegt worden waren. Das Überleben war damit für den nächsten Tag gesichert.“2
Auch Solly Ganor beschreibt, wie er und seine Freunde Hilfsbereitschaft aus Utting erfuhren:
„Als wir fertig waren, gab die Wirtin uns einen Laib Brot. Sie war eine schlanke dunkelhaarige Frau mit freundlichen Augen. Mitleidig sah sie uns an. ‚Morgen bekommt ihr von mir etwas Suppe’, sagte sie […] Während wir das Brot teilten, erschien ein SS-Mann. Sein Gesicht war rot vom Alkohol und er sah böse drein. Wir duckten uns sofort. ‚Es ist schon in Ordnung’, sagte die Wirtin, ‚sie haben es nicht gestohlen, ich habe ihnen das Brot geschenkt’. – ‚Das sollst du nicht machen, Marianne’, gab er zurück, ‚es ist verboten’. Aber er bestrafte uns nicht und ließ uns sogar das Brot behalten.”3
Gelegenheiten zur Unterstützung ergaben sich für die Helfenden beispielsweise, wenn Gefangene dazu abgestellt wurden, für das Lager bestellte Versorgungsmittel bei den Geschäften im Dorf abzuholen. Dies galt zum Beispiel für die Bäckersfamilie. Dennoch schauten die meisten Dorfbewohner_innen weg. Die lebensrettenden Hilfeleistungen blieben riskante Ausnahmen.
Verleugnung
Trotz des Wissens um die Existenz der KZ-Häftlinge in Utting und den Erzählungen einiger Anwohner_innen wurde die lokale NS-Geschichte nach Kriegsende, wie fast überall in der Bundesrepublik, teilweise geleugnet. Frau Feinstein erinnert sich an die “Bestürzung” ihres Mannes über die “platten Lügen”:
„Herr Feinstein musste bei einem Besuch in Utting nach Kriegsende verschiedentlich Auskünfte nach dem Weg zum KZ von der örtlichen Bevölkerung einholen und bekam meist nur ein Achselzucken oder ein Bedauern als Antwort. Nie, nie habe man von einem Lager gehört oder es gesehen. Herr Feinsteins Bestürzung über die platten Lügen der Leute war groß, war er doch täglich als Nummer 92268 unter vielen anderen Nummern in der Arbeitskolonne von der Wachmannschaft der OT [Organisation Todt] begleitet durch die Straßen des Ortes gezogen um an die verschiedenen Plätze ihres Arbeitseinsatzes zu gelangen.“4
Die Aufseher des Konzentrationslagers blieben zum Teil in Utting wohnen und manche von ihnen wurden nicht verurteilt. Die ehemaligen Baracken des Wachpersonals wurden im Anschluss als Unterkunft für Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten genutzt. Ab 1956 entstand auf dem Gelände des Lagers eine Wohnsiedlung, in der auf den ersten Blick nichts darauf hinweist, dass sich an dieser Stelle ein Konzentrationslager befand.
- Dieser Artikel stützt sich auf die Überlebendenberichte von Solly Ganor, Jakob Feinstein und Abba Naor (Ganor, Solly: Das andere Leben. Kindheit im Holocaust, Frankfurt a. M. 1997; Interview mit Gertrude Feinstein am 03. Juni 2015, München; Naor, Abba / Zeller, Helmut: Ich sang für die SS. Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst, München 2014) sowie Gespräche mit Zeitzeug_innen aus Utting am 25.April 2015, 26. April 2015 und 08. Mai 2015. ↩
- Interview mit Gertrude Feinstein, 03. Juni 2015, München. ↩
- Ganor, Solly: Das andere Leben, S. 181 f. ↩
- Interview mit Gertrude Feinstein, 03. Juni 2015, München. ↩
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