Auf gegenwärtigen Gedenkveranstaltungen in Utting sind überwiegend Vertreter_innen der Kirchen und der Bürgergesellschaft aktiv. Unter den verhältnismäßig wenigen Teilnehmer_innen mangelt es besonders an „neuen Gesichtern“ und jungen Menschen. Ein Grund dafür mag die unzureichende öffentliche Ankündigung sein. In Fragen, wie man zum Beispiel eine Gedenkveranstaltung richtig „bewirbt“, streiten sich in Utting die „Erinnerungsgeister“. Konkurrenzen und Konflikte zwischen einzelnen Akteur_innen gibt es auch hier – ein Nebeneffekt, der auch die Erinnerungsarbeit in und mit Utting bestimmt.1
von Susanne Maslanka, Sophie Rathke und Theresa Weiß
Privatpersonen engagieren sich
Erste kritische Auseinandersetzungen mit der Ortsgeschichte gingen in den 1960er Jahren von Privatpersonen aus. Auf der Suche nach Enzian im Jahr 1967, erzählte uns eine Bewohnerin, die damals neu zugezogen war, habe sie den jüdischen Friedhof entdeckt. Niemand hatte ihr vorher von dem Friedhof erzählt. Der verwahrloste und lieblose Zustand der Gräber veranlasste die Frau, sich in den folgenden Jahren regelmäßig um deren Pflege zu kümmern.
Auch Anton Posset, Historiker und ehemaliger Lehrer in Landsberg, hielt Ende der 1970er Jahre Vorträge über Uttings nationalsozialistische Vergangenheit in der Gemeinde. Nach den Worten einer Bewohnerin Uttings wollten aber zu der Zeit weder Landsberg noch Utting die Vergangenheit anerkennen. Wie einige andere Initiativen im bundesdeutschen Kontext dieser Zeit stießen auch sie kaum auf politisches und öffentliches Interesse.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Auf wissenschaftlicher Ebene lieferte die Zeithistorikerin Dr. Edith Raim Ende der 1980er Jahre erste umfassende Erkenntnisse zum Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering und dem „Unternehmen Ringeltaube“2 Das Schulprojekt „Wir machen ein KZ sichtbar“ unter der Leitung der damaligen Lehrerin Dr. Barbara Fenner ist heute ein wichtiger Bestandteil in der Forschungsliteratur zur Zwangsarbeit in Utting.3
Ebenso entstanden, vermutlich in den 1980er und 1990er Jahren, vereinzelte Facharbeiten von Schüler_innen aus Utting über das Konzentrationslager und die dort verrichtete Zwangsarbeit.4
Zeugnisse von Überlebenden
Biographien und Erinnerungen von Überlebenden wie beispielsweise die von Solly Ganor, David Ben Dor und Abba Naor sind wichtige Zeugnisse, die die wissenschaftliche Arbeit ergänzen und einzelne Leidensgeschichten unter nationalsozialistischer Gewalt erfahrbar machen.5 Vor allem Solly Ganor und Abba Naor stehen in engem Kontakt mit Vertreter_innen der Kirchen und der Bürgerinitiative „Agenda 21“. Wiederholt kamen sie zu Lesungen und Gesprächen nach Utting.
Erinnerungsarbeit in den Kirchgemeinden
Vorreiterin auf dem Gebiet der Geschichtsaufarbeitung in den Kirchgemeinden war die evangelische Kirche in Utting. Mitte der 1970er Jahre veranstaltete sie einen ersten Schweigemarsch zum jüdischen Friedhof. Für eine Anwohnerin, die damals an dem Schweigemarsch teilnahm, war dieser Gedenkmarsch sehr beeindruckend. „Alle bekamen eine Pechfackel, weil es abends war, und ein Liedblatt mit ‚Wir sind die Moorsoldaten‘. Das hat man dann gesungen. Das war gespenstisch“6, erinnerte sie sich in einem Gespräch. Auch die Vorträge mit Anton Posset seien auf Initiative des damaligen evangelischen Pfarrers Dr. Bernd Busch entstanden. Anfänglich kamen zu den Veranstaltungen nur 20 bis 25 Leute – doch für die damaligen Verhältnisse schon viele. Heute sind bei der jährlich von der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde gemeinsam organisierten Gedenkveranstaltung am 9. November zum Gedenken an die nationalsozialistischen Pogrome gegen Menschen jüdischen Glaubens im Jahr 1938 mehr Personen anwesend. Neben den Gedenkveranstaltungen organisiert die evangelische Gemeinde auch wissenschaftliche Vorträge über Uttings nationalsozialistische Vergangenheit.7
Die katholischen Gemeindevertreter_innen schwiegen lange über die nationalsozialistische Vergangenheit Uttings. Erst Mitte der 2000er Jahre ist mit Pfarrer Monsignore Heinrich Weiß auch die katholische Gemeinde aktiver geworden. Heute veranstaltet sie die Reihe „Biblische Gespräche“, unter anderem auch mit Vertreter_innen des jüdischen Glaubens.
Zusätzliche Gedenkveranstaltungen finden auch an Jahrestagen statt. Im Jahr 2015, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, organisierten Verantwortliche der evangelischen und katholischen Kirche zusammen mit der Gemeinde Utting einen Schweigemarsch zum Gedenken an den Todesmarsch, den auch die Häftlinge der Uttinger Lager Ende April 1945 antreten mussten.
Etwa 60 Menschen trafen sich am 25. April 2015, um gemeinsam der Opfer zu gedenken. Nach Worten einer Anwohnerin, die schon seit vielen Jahren auf den Gedenkveranstaltungen dabei ist, seien das jedoch meist die gleichen Personen, die auch am 9. November regelmäßig kommen. Leute, die sich ohnehin mit dem Thema befassen.8 Junge Leute fehlen gänzlich unter den Gedenkenden. Anwohner_innen betonen in Gesprächen immer wieder ihr Bedürfnis danach, dass auch junge Menschen Interesse für die Geschichte der Gemeinde zeigen. Doch ein konkretes Programm, die junge Generation zu erreichen und miteinzubeziehen, steht in Utting noch aus.
- Die Darstellungen basieren auf teilnehmenden Beobachtungen und Interviews mit Akteur_innen und Anwohner_innen in Utting im April und Mai 2015. ↩
- Raim, Edith: „Unternehmen Ringeltaube“: Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering. In: Dachauer Hefte 5, Dachau 1989, S. 193 – 213; Im Jahr 1991 wurde ihre Dissertation zum Thema „Die Dachauer KZ-Außenkommandos Kaufering und Mühldorf. Rüstungsbauten und Zwangsarbeit im letzten Kriegsjahr 1944/45“ in Landsberg veröffentlicht. ↩
- Fenner, Barbara: Wir machen ein KZ sichtbar. Katalog zur Schülerausstellung über das Lager XI des größten Außenkommandos des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau im Bunker der Welfenkaserne Landsberg, Hofstetten 2000. ↩
- Gespräch mit Anwohnerin, 26. April 2015, Utting. ↩
- Ganor, Solly: Das andere Leben. Kindheit im Holocaust, Frankfurt a. M. 1997; Ben Dor, David: Die schwarze Mütze. Geschichte eines Mitschuldigen, Leipzig 2000; Naor, Abba / Zellner, Helmut: Ich sang für die SS. Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst, München 2014. ↩
- Gespräch mit Anwohnerin, 26. April 2015, Utting. ↩
- Ebd. ↩
- Ebd. ↩
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