Die „Agenda 21“
Die seit Ende der 1990er Jahre bestehende Bürgerinitiative „Agenda 21“ macht wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen zum Gegenstand ihrer Arbeit. Für Elisabeth Burkhart, eine der Begründerinnen der Initiative, gehöre das Außenlager und die ganze Problematik auch dazu. Als die Idee der Initiative aufkam, lebten viele Mitglieder der „Agenda 21“ erst seit kurzer Zeit in Utting. Außer den sichtbaren Überresten waren Hintergrundinformationen zu der NS-Geschichte des Ortes für die Neubürger_innen nicht zugänglich. Auch die Gemeindepolitik und die katholische Kirchgemeinde widmeten sich zu dieser Zeit anderen Themen. „Noch heute gibt es keine Informationen, wenn man nicht zufällig eine Führung hat, die auch nur alle zehn Jahre stattfindet“,1 merkt Elisabeth Burkhart an. Neben den Führungen zu den ehemaligen Standorten des Konzentrationslagers und des Firmengeländes sowie zum jüdischen Friedhof organisieren die Ehrenamtlichen auch Lesungen und Gespräche mit Zeitzeug_innen. Der enge Kontakt mit Überlebenden der Uttinger Lager ist für Elisabeth Burkhart auch „ein Schritt in Richtung Versöhnung“. Seit etwa zehn Jahren arbeitet die „Agenda 21“ auch eng mit den Kirchgemeinden sowie den Vertreter_innen der Gemeindepolitik zusammen. Heute engagiert sich die „Agenda 21“ dafür, eine Form zu finden, die Hintergründe nationalsozialistischer Zwangsarbeit in Utting öffentlich zugänglich zu machen. Aktuell setzen sie sich für das Projekt „Hörpfade“ ein, in dem „kritische Orte“ der Geschichte Uttings aufgenommen werden. Für Elisabeth Burkhart ist es wichtig, dass man solche Orte öffentlich macht. „Denn das Außenlager und die ganze Problematik dazu,“ erklärt Burkahrt, „das gehört ja auch zur Identität von Utting“.2
Bundeswehr als Akteur der Erinnerung
Der ehemalige Rüstungsbunker „Weingut II“, an dessen Bau die Häftlinge des Uttinger KZs beteiligt waren, ist seit 1960 Eigentum der Bundeswehr. Der Bau in Landsberg wird heute als „Welfenkaserne“ bezeichnet. Im Jahr 2013 richtete die Bundeswehr dort zwei Stellen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte um den Dachauer Außenlagerkomplex und die unterirdischen Rüstungsfabriken ein. Erinnerungsarbeit wird jedoch schon seit den 1980er Jahren betrieben. Unter der Arbeit von Oberstleutnant Gerhard Roletschek und Oberstabsfeldwebel Helmut Müller entstand die Militärgeschichtliche Sammlung „Erinnerungsort Weingut II“ – eine Dauerausstellung, die frei zugänglich ist. Zu Gedenktagen wie am 30. April 2015 finden Veranstaltungen statt, um an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren zu erinnern. Daran nehmen regelmäßig Vertreter_innen offizieller Institutionen der Opfergruppen, Überlebende und Gäste aus der regionalen sowie überregionalen Politik teil.
Das Engagement der Bundeswehr, auch die Jugend aus der Umgebung mit in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen, zeigt sich an ihrem neuesten Projekt in der Welfenkaserne. In Zusammenarbeit mit zwei Zimmereiklassen der Berufsschule Weilheim unter Leitung Gerhard Roletscheks und Helmut Müllers entstand die Rekonstruktion einer Erdhütte, wie sie in der NS-Zeit zur Unterbringung der Häftlinge der Kauferinger Außenlager gebaut wurde. Das Modell ist zwar nur ein Querschnitt, aber für die Besucher_innen der Militärgeschichtlichen Sammlung begehbar. Am 30. April 2015 wurde diese im Beisein von Überlebenden des Außenlagerkomplexes Landsberg/Kaufering feierlich vorgestellt. Die kritische Frage, die sich hier allerdings stellt: Passt diese Form der „Erlebniserinnerung“ in den Kontext nationalsozialistischer Gewalt?
Doch nicht nur Gedenkveranstaltungen, auch die wissenschaftliche Aufarbeitung gehört zu der Arbeit von Roletschek und Müller. Seitdem die Transportlisten über den International Tracing Service (ITS) in Bad Arolsen frei zur Verfügung stehen, machen es sich die beiden Verantwortlichen der Militärgeschichtlichen Sammlung zur Aufgabe, die Opfer der Kauferinger Lager und der Rüstungsanlagen zu identifizieren.3
Politisches Engagement
Sowohl die Gemeindepolitik als auch kommunale Politik und Verwaltung zeigten in den 1960ern und 1970ern Jahren wenig Engagement für eine gründliche Aufarbeitung der Geschehnisse in Utting zwischen 1944 und 1945. Die Wünsche von Angehörigen der Opfer des Konzentrationslagers, den Friedhof begehbar und mit Hinweisschildern sichtbar zu machen, brauchten in den 1970er Jahren einen langen Atem. Etwa zwei Jahre wurde zwischen der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und der Uttinger Gemeindeverwaltung über einen rechtmäßigen Zugangsweg und ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Judenfriedhof“ diskutiert.4
Ende der 1990er Jahre beschloss der Gemeinderat, dass die Reste des ehemaligen Werksgeländes der Dyckerhof & Widman AG einer Neubausiedlung weichen sollen. Allerdings verpflichtete sich die Gemeinde Utting gegenüber Überlebenden und dem Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags, dort ein Mahnmal zu errichten. Dieses wurde im November 2011 enthüllt. Weitere Aktivitäten und Beschlüsse der Gemeinde Uttings zu den Erinnerungsorten werden unter dem Kapitel „Was kann man heute noch auf dem Gebiet des KZs Kaufering X sehen?“ detailliert aufgeführt.
Der amtierende Bürgermeister Josef Lutzenberger von der GAL (Grün-Alternative Liste) zeigt keine Scheu vor der „unbequemen Geschichte“. Auf den gemeinsamen Gedenkveranstaltungen mit der evangelischen und der katholischen Gemeinde ist er präsent.
Ausblick
Zwar gibt es Bestrebungen in Utting, die Geschichte aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken. Doch für die akuten Probleme wie das Desinteresse und Wegbleiben der Jugend, fehlende öffentlich zugängliche Informationen sowie die mangelhafte Sichtbarkeit der Erinnerungsaktivitäten gibt es heute noch keine konkreten Pläne. Auch in einer konstruktiven Zusammenarbeit der einzelnen Gedenkinitiativen besteht Nachholbedarf.
Das Bedürfnis, sich mit der Geschichte des Konzentrationslagers in Utting auseinanderzusetzen, ist innerhalb der Dorfgemeinschaft heutzutage größer als es auf den ersten Blick scheint. Gesprächsbereitschaft ist besonders bei der älteren Bevölkerung, die noch Zeuginnen und Zeugen sind, vorhanden. Damit einher geht aber auch großes Unverständnis gegenüber denjenigen, die bis heute schweigen. Dass sich in Zukunft mehr junge Menschen für dieses Kapitel der Lokalgeschichte interessieren, ist den Uttingern ein besonderes Anliegen.5
- Interview mit Elisabeth Burkhart, 09. Mai 2015, Utting. ↩
- Ebd. ↩
- Telefoninterview mit Gerhard Roletschek, 02. Juli 2015. ↩
- Archiv der Bayrischen Gedenkstättenstiftung, München; Akten zum KZ-Friedhof Utting, Akte Nr. 44/72, Akten Nr. 60 – 2827/72, Akten Nr. 60 – 6214/72, Akte Nr. 13821/1972, Akte Nr. 16285/72, Akte Nr. 60 – 9569/74. ↩
- Gespräche mit Anwohnerinnen, 25. April 2015, 26. April 2015, 09. Mai 2015, Utting. ↩
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